Barrierefrei. Wir sind dabei.
Die lange Geschichte einer guten Idee
Es begann mit einer Recherche: wo finde ich in Alsterdorf eine gynäkologische Praxis, die für eine Rollstuhlnutzerin zugänglich ist? Es fiel zuerst auf, dass die öffentlich zugänglichen Informationen nicht zuverlässig und unvollständig sind. Nur über wenige Arztpraxen gibt es überhaupt Angaben dazu, ob zum Beispiel Stufen vorhanden sind oder ein Assistenzhund mitgebracht werden darf. Missverständlich sind Begriffe wie „behindertengerecht“ oder „bedingt barrierefrei“, das sagt nichts über die tatsächlichen Zugangsbedingungen aus.
Das wollten wir ändern und haben gemeinsam mit KISS Hamburg ein Projekt initiiert, das zuverlässige Informationen zur Barrierefreiheit in Arztpraxen erhebt und dann veröffentlicht. Die AOK Rheinland/ Hamburg hat das Vorhaben vier Jahre lang bis Ende 2019 finanziert. Wir haben zuerst Kriterien zur Barrierefreiheit gesammelt und uns bei Verbänden von Menschen mit Behinderung rückversichert, ob wir an alles gedacht haben. Was ist wichtig für den Arztbesuch? Gehörlose brauchen eine Praxis, in der auch schriftlich Termine verabredet werden können. Menschen mit einer Gehbehinderung achten auf eine gute Verbindung mit Bus oder Bahn. Rollstuhlnutzer*innen brauchen ein geräumiges WC und jemand im E-Rolli will sicher sein, dass die Fahrstuhltür breit genug ist. Die Kriterien sind in eine Checkliste mit konkreten Fragen übersetzt worden, die dann bei den Besuchen in der Praxis beantwortet werden. Das ist sehr präzise: Wie weit ist der Weg von der nächstgelegenen Haltestelle bis zur Arztpraxis? Ist die Ausschilderung kontrastreich? Insgesamt sind es sieben Fragegruppen, die vom Eingangsbereich bis in das Sprechzimmer führen. Hier finden Sie einen Beitrag zum Projekt in Leichter Sprache.
Es war von Anfang an schwierig, Ärzt*innen für eine Teilnahme zu gewinnen. Im Praxisalltag kommt eine Erhebung vor Ort ungelegen. Viele halten das Vorhaben für überflüssig, weil zum Beispiel eine Stufe vor der Tür ist und sie meinen, damit ja nicht barrierefrei zu sein. Wir erklären, dass Stufen für viele kein Problem sind und die Praxis vielleicht durch andere Ausstattungsmerkmale gut aufgestellt sein kann. Andere sagen ab, weil sie schon viele Menschen mit Behinderung behandeln und Sorge haben, dass mit einer Veröffentlichung noch mehr kommen.
Sind die Daten erfasst, erhalten die Arztpraxen die Zusammenfassung der Ergebnisse sowie ein kleines Handbuch mit weitergehenden Informationen. Mit schriftlicher Zustimmung zur Veröffentlichung werden die Informationen in unserer WebApp PlanB.hamburg angezeigt.
Auf einer gut besuchten Podiumsdiskussion im Resonanzraum haben wir die WebApp vorgestellt. Es gibt auch eine Projektdokumentation, bei uns zu bekommen oder hier nachzulesen.
Ende des Jahres 2021 waren in Hamburg 5.060 Ärzte niedergelassen. Uns war klar, ohne Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg kommt das Projekt mit nur einer Teilzeitkraft viel zu langsam voran. Die KV Hamburg ist für die Sicherstellung der ambulanten Versorgung verantwortlich und hat die besten Voraussetzungen, ihre Mitglieder für das Thema zu sensibilisieren und sie aufzufordern, einer Erfassung der konkreten Zugangsbedingungen zuzustimmen. Tatsächlich gelang es mit Beteiligung der Sozialbehörde, Ende 2020 eine Kooperation mit der KV Hamburg zu schließen. Vertraglich war verabredet, dass die KV Hamburg den Kontakt zu Arztpraxen herstellt und wir diese Praxen dann besuchen.
Unsere Zuversicht schwand schnell, es gab so gut wie keine Vermittlungen über die KV. Weiterhin mussten wir die Praxen akquirieren, Absagen notieren, in Warteschleifen geduldig bleiben und immer wieder erklären, warum Transparenz über die Zugangsbedingungen für viele Bürger*innen wichtig ist. Es fehlt uns als kleiner Verein an Durchsetzungskraft und wir entschlossen uns darum Ende 2021, das Projekt an die LAG Hamburg abzugeben. Das ist der Zusammenschluss von fast 70 Organisationen von Menschen mit Behinderung und ein gewichtiger Akteur gegenüber Politik und Behörden. Seit April 2022 läuft das Vorhaben unter dem Dach der LAG, wir haben die Rechte an der WebApp behalten.
Auch unter der Regie der LAG füllte sich die App weiterhin nur im Schneckentempo. Die LAG teilte uns mit, dass die Kassenärztliche Vereinigung kein Interesse daran hat, dass Angaben zur Barrierefreiheit in der App zu finden sind. Wir können die Kosten für die WebApp nicht finanzieren und werden die Anwendung Ende März 2023 vom Netz nehmen. Bis dahin könnt ihr noch schauen, wie viele Informationen in ihr stecken und was für eine gute Idee hier zu Ende geht.
Auf der Homepage der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg können Arztpraxen gesucht werden, auch mit einigen Kriterien zur Barrierefreiheit. Einleitend heißt es: „.. die Angaben zur Barrierefreiheit erfolgen durch die Praxen. Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg kann deshalb nicht für die Vollständigkeit oder Richtigkeit dieser Daten garantieren.“
Genau so ist es also weiterhin. Die Daten sind nicht zuverlässig und Ratsuchende mit Behinderung werden sich weiterhin nicht darauf verlassen können. Und damit sind wir nach acht Jahren unermüdlichem Einsatz wieder bei dem Ausgangspunkt unseres Projekts „Barrierefrei. Wir sind dabei“ angekommen. Es gibt keine zuverlässigen Daten zur Barrierefreiheit in Hamburger Arztpraxen.