Brief an den Intendanten der Hamburger Kammerspiele


Sehr geehrter Herr Schneider,

es gehört zu den alltäglichen Erfahrungen als Rollstuhlfahrerin, von baulichen Barrieren ausgebremst zu werden und Diskriminierung zu erfahren. (..)
Ich schreibe diese Mail, um Ihnen einen Einblick zu geben, wie Ihr Vorgehen im Zusammenhang mit der Aufführung von „Ziemlich beste Freunde“ auf Menschen mit Behinderung wirkt. Eigentlich setzt die Auseinandersetzung mit diesem Buch doch voraus, sich in die Problematik hinein zu denken. Unmittelbar werden Sie doch darauf gestossen sein, dass es zumindest seltsam ist, ein Theaterstück in den Kammerspielen aufzuführen, indem der Protagonist einen E-Rolli benutzt und wäre er tatsächlich behindert, könnte er die Bühne nicht erreichen. Haben Sie nicht darüber nachgedacht, die Premiere im Harburger Theater oder im Haus im Park stattfinden zu lassen und erst danach in den Kammerspielen zu spielen? Das wäre ein starkes Signal gewesen.
So ist aber der Eindruck entstanden, dass Ihr Vorgehen entweder wenig durchdacht oder ignorant ist.
Kern Ihres künstlerischen Konzeptes sollte die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen sein. Das haben Sie nun in einer zynischen Form getan. Probleme werden reproduziert und Menschen mit Behinderung ein Spiegel vorgehalten: ihr müsst draußen bleiben!
Ja, der Denkmalschutz, das ist ein Argument. Aber was haben Sie konkret unternommen, um ein Menschenrecht, nämlich das auf gesellschaftliche Teilhabe, trotz Denkmalschutz umzusetzen? Jedenfalls scheinen Sie weder die Medien noch die Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung oder die Senatsbeauftragte für Gleichstellung um Unterstützung gebeten zu haben. Die geplante Aufführung von „Ziemlich beste Freunde“ wäre eine 1A Gelegenheit gewesen, auf die bauliche Situation in den Kammerspielen aufmerksam zu machen. Es hätte sich angeboten, Spenden oder Unterschriften für einen Appell an die Politik für einen Umbau trotz Denkmalschutz zu sammeln!

Sie hätten auf die Verbände von Menschen mit Behinderungen zugehen können, um Ihre Situation mit den baulichen Hindernissen zu erklären und gemeinsam Ideen zu entwickeln. (..) Jetzt zu beklagen, das Autonom Leben im Vorwege nicht auf Sie zugekommen ist, offenbart eine ziemlich arrogante Haltung. Genauso gut hätten Sie das im Vorwege bedenken und damit die öffentliche Wahrnehmung sogar zu Ihren Gunsten drehen können.

Das stärkste Signal ist für mich aber die Treppe als Werbefläche. Eine Treppe als bauliche Barriere ist ja wohl das augenfälligste Symbol für Ausgrenzung. Ausgerechnet damit für dieses Theaterstück zu werben, das kann ja nicht mit Unachtsamkeit erklärt werden. Es ist ein Affront gegenüber Menschen, die einen Rollstuhl nutzen müssen. Sich mit so einer Provokation auseinandersetzen zu müssen, das ist verletzend und verhöhnend. Mich hat das getroffen.
Wenn Sie „Ziemlich beste Freunde“ zeigen, weil Sie auf die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung aufmerksam machen und den Problemen eine Öffentlichkeit geben wollen, dann ist das aus meiner Sicht gründlich daneben gegangen.
Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Hagemann

Gerne Teilen!




Veröffentlicht am 26. März 2014 von Redaktion
Kategorien: Allgemein, Barrierefreiheit


 |